Mathematische Fakultät

Die Mathematische Fakultät ist in einem einzigen Institut organisiert. Die elf Arbeitsbereiche des Mathematischen Instituts lassen sich in fünf größere Gruppen zusammenfassen mit folgenden Forschungsgebieten:

(1) Die Mathematische Logik betrachtet mathematische Modelle von (Fragmenten von) Sprachen und untersucht die Beziehung der logischen Konsequenz (Beweisbarkeit) sowie damit zusammenhängende Begriffe wie Definierbarkeit, Entscheidbarkeit, Widerspruchsfreiheit. In der Beweistheorie werden solche Untersuchungen rein syntaktisch geführt, wozu mancherlei kombinatorische Hilfsmittel herangezogen werden; in der Modelltheorie geht man semantisch vor, indem man die formalen Sprachen in Modellen interpretiert, die in der Regel mathematischen Disziplinen wie der Algebra und der Analysis entnommen sind; deshalb spielen dann auch die Methoden jener Disziplinen eine Rolle. Innerhalb der Fakultät besteht Zusammenarbeit mit den Arbeitsbereichen der Gruppe Geometrie und Algebra, interfakultär mit der Fakultät für Informatik, der Philosophischen Fakultät und der Fakultät für Physik (Geschichte der Naturwissenschaften).

(2) Geometrie und Algebra umfassen die innermathematischen Grundlagen für weite Teile der gesamten Mathematik. Einigender Gesichtspunkt für die meisten der in Tübingen untersuchten Fragen ist die Rolle der Symmetrie-Gruppen beim Studium der Wechselbeziehungen zwischen algebraischen und topologisch-geometrischen (einschließlich analytischen) Strukturen. Dadurch ergibt sich eine besonders enge Zusammenarbeit der beteiligten Arbeitsgruppen untereinander:

Darstellungstheorie ist mit der systematischen Untersuchung von Gruppen vermöge geeigneter Realisierungen als Permutationsgruppen oder Matrizengruppen befaßt. Sie ist relevant in vielen Bereichen der Diskreten Mathematik (Endliche Geometrien, Kombinatorik, Codierungstheorie) ebenso wie in Topologie, Geometrie oder Analysis.

Kommutative Algebra nennt man die gemeinsamen algebraischen Methoden der klassischen Disziplinen Algebraische Geometrie, Analytische Geometrie und Algebraische Zahlentheorie. Speziell wird die Entwicklung algebraischer Methoden in der Theorie der Überlagerungen von Singularitäten betrieben (Zusammenhang mit Komplexer Analysis), außerdem Eliminationstheorie: Lösen algebraischer und zahlentheoretischer Gleichungen (Zusammenhang mit Kombinatorik).

Topologie ist die Lehre von Stetigkeitseigenschaften. Hier werden die gegenseitigen Beziehungen zwischen Geometrie, Topologie und Gruppentheorie untersucht. Über die Lie-Gruppen besteht eine weitgehende Analogie zur Theorie der endlichen Geometrien und Gruppen.

(3) Analysis (im weiteren Sinne) umfaßt große Teilgebiete der Mathematik, deren Arbeitsmethoden ihren Ursprung in der Differential- und Integralrechnung haben. Die moderne Analysis bezieht aber auch Methoden der Linearen Algebra, der Kommutativen Algebra und der Topologie (der Mannigfaltigkeiten) in wesentlicher Weise ein. Die in Tübingen vertretenen und unten näher beschriebenen Gebiete der Analysis stehen in enger Beziehung nicht nur untereinander, sondern auch zur Geometrie, zur Mathematischen Physik, zur Biomathematik und zur Numerischen Mathematik, was sich in lebhaften wissenschaftlichen Kontakten zwischen den entsprechenden Arbeitsgruppen niederschlägt.

Analysis (im engeren Sinne). Untersucht werden Partielle Differentialgleichungen und Variationsprobleme, wie sie z. B. in Fragestellungen der Differentialgeometrie, der Mathematischen Physik und anderer Naturwissenschaften auftreten. Hierbei werden analytische und differentialgeometrische Methoden entwickelt, um Lösungen konkreter Probleme zu finden und qualitativ zu beschreiben. Einzelne Forschungsprojekte betreffen Flächen vorgeschriebener Krümmung, die Deformation von Flächen und Mannigfaltigkeiten durch geometrische Evolutionsgleichungen, Phasenübergänge und Grenzflächen, sowie Hyperflächen in Riemannschen und Lorentzschen Mannigfaltigkeiten mit ihren Anwendungen in der Allgemeinen Relativitätstheorie. Numerische Simulation und grapische Darstellung von Lösungen auf Computern erweist sich hierbei im Zusammenspiel mit den theoretischen Untersuchungen als ein wichtiges Hilfsmittel.

Komplexe Analysis ist die Theorie der analytischen Funktionen mehrerer, auch unendlich vieler komplexer Veränderlicher. Bevorzugtes Forschungsprojekt sind die homogenen komplexen Banachmannigfaltigkeiten und deren biholomorphen Automorphismengruppen, darunter insbesondere die beschränkten symmetrischen Gebiete in komplexen Banachräumen. Zusammenhänge ergeben sich damit z. B. zur Geometrie (Banach-Liegruppen als Transformationsgruppen), zur Algebra (Jordanalgebren und -Tripelsysteme) und zur Funktionalanalysis (Operatoralgebren).

Funktionalanalysis: Evolutionsgleichungen stehen im Mittelpunkt der Forschung dieses Arbeitsbereichs. Dabei geht es sowohl um abstrakte Existenzansätze als auch insbesondere um die Diskussion qualitativer Eigenschaften (wie z. B. Stabilität, Periodizität, Positivität), der Lösungen. Die Ergebnisse finden Anwendung bei der Behandlung partieller Differentialgleichungen, Funktionaldifferential- und Integralgleichungen und konkreter Gleichungen aus der Mathematischen Physik und Biologie.

Mathematische Methoden der Naturwissenschaften: Die Mathematische Physik rückt all jene Gebiete der Mathematik in den Mittelpunkt des Interesses, die unmittelbare Anwendungen in der Theoretischen Physik haben. Im Mittelpunkt der hiesigen Forschung stehen zum einen die Theorie der Operatoralgebren (eine Verallgemeinerung der Heisenbergschen Matrizen), die Quantenstochastik (Theorie der zufälligen Wechselwirkungen zwischen quantenmechanischen Systemen) und die quantenmechanische Vielteilchentheorie (mit Anwendungen in der Quantenoptik, der Theorie der Supraleitung, etc.).

Eine weitere Forschungsrichtung ist die Theorie partieller Differentialgleichungen (insbesondere solcher, die von der Allgemeinen Relativitätstheorie herkommen), mit der z. B. Gleichgewichtsfiguren gleichförmig rotierender Sterne untersucht werden.

(4) Stochastik (Wahrscheinlichkeitstheorie und Mathematische Statistik): Die zur Erforschung anstehenden Probleme betreffen die quantitative Beschreibung der im Naturgeschehen enthaltenen zufälligen Komponenten. Dabei werden schwerpunktmäßig zwei verschiedene Forschungsrichtungen verfolgt: In der strukturellen Wahrscheinlichkeitstheorie stehen Wahrscheinlichkeitsverteilungen auf verschiedenartigen algebraisch-topologischen Strukturen im Mittelpunkt des Interesses. Vorrangig wird gearbeitet im Gebiet der Hypergruppen (Harmonische Analyse, Potentialtheorie, asymptotische Gleichverteilung) und in ihren Anwendungen auf die Wahrscheinlichkeitstheorie (Zentrale Grenzwertsätze für Prozesse mit unabhängigen Zuwächsen und für Irrfahrten). Die statistische Entscheidungstheorie liefert die formale Grundlegung des rationalen Risikoverhaltens, innerhalb dessen Strategien im Sinne geringeren Risikos zu optimieren sind. Eine umfassende Thematik für derzeitige und zukünftige Forschungsarbeit ist der Informationsvergleich statistischer Experimente. Besonderes Interessen gilt dem Studium nichtdominierter Experimente sowie der Integraldarstellung gemeinsamer bedingter Wahrscheinlichkeiten.

(5) Numerische Mathematik: Die Numerische Mathematik ist eines der zentralen Bindeglieder zwischen der Mathematik und ihren Anwendungen. Daß sich ein Problem (etwa aus den Ingenieur- und Naturwissenschaften) in mathematischer Sprache beschreiben läßt, bedeutet noch lange nicht, daß man seine möglichen Lösungen formelmäßig darstellen und leicht auswerten kann. Dazu muß meistens ein diskretes Ersatzproblem gefunden werden, das in möglichst engem Zusammenhang mit dem Ausgangsproblem steht. Erst die Lösungen dieses Ersatzproblems lassen sich mit dem Computer berechnen und graphisch oder in anderer Weise darstellen. Gegenstand der Numerischen Mathematik ist die Konstruktion und Analyse solcher Ersatzprobleme und die Entwicklung effizienter Algorithmen zu ihrer Auswertung. Die Numerische Mathematik stellt damit eine der wesentlichen Grundlagen des Wissenschaftlichen Rechnens dar und steht durch ihr Werkzeug, dem Computer, in enger Verbindung zur Informatik.

Die beiden auf dem Gebiet der Numerischen Mathematik tätigen Arbeitsgruppen beschäftigen sich vor allem mit Näherungsverfahren zur Lösung gewöhnlicher und partieller Differentialgleichungen und deren Anwendung in der Physik und den Naturwissenschaften. Dabei stehen theoretische Fragestellungen und Fragen der algorithmischen Realisierung gleichberechtigt nebeneinander.

Beide Arbeitsgruppen sind stark in dem Sonderforschungsbereich 382 "Verfahren und Algorithmen zur Simulation physikalischer Prozesse auf Höchstleistungsrechnern" engagiert.

Die selbstverständliche nationale und internationale Zusammearbeit wird dokumentiert durch intensive Kontakte zu Arbeitsgruppen an verschiedenen Universitäten und Forschungseinrichtungen im In- und Ausland. Mehrere Professoren der Fakultät sind Mitglieder bekannter internationaler Akademien (Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Spanische Akademie der Wissenschaften) oder Mitherausgeber von Zeitschriften (Jahresberichte der Deutschen Mathematikervereinigung, Journal für die Reine und Angewandte Mathematik, Mathematische Zeitschrift, Metrika, Journal of Theoretical Probability, Probability and Mathematical Statistics, Resultate der Mathematik, Semigroup Forum). Mehrere Kollegen sind auch regelmäßig als Organisatoren von internationalen Tagungen im Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach tätig.

Die folgenden Einzeldarstellungen von Forschungsarbeiten im Berichtszeitraum sollen die allgemeinen Darstellungen ergänzen. Leider ist die verständliche Beschreibung gerade der mathematischen Forschung schwierig wegen des hohen Abstraktions- und Formalisierungsniveaus, dem die Mathematik gerade ihre Bedeutung verdankt.

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qvf-info@uni-tuebingen.de(qvf-info@uni-tuebingen.de) - Stand: 30.11.96
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